Fachbericht

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Die Michaelis-Kirche zu Hamburg und das Heliotrop des C. F. Gauß

Bernd Hoffmann, Hamburg-Harburg

C. F. Gauß hat sich seinerzeit neben seinen höchst wissenschaftlichen Arbeiten in den Bereichen Mathematik, Physik, Astronomie und Geodäsie auch mit zeitaufwendigen praktischen Tätigkeiten, insbesondere im Vermessungswesen, beschäftigt. Dieses hatte bei seinen Kollegen durchaus zu Kritik geführt, da er so wertvolle Zeit seinen theoretischen Forschungen entzogen hätte. Dass Gauß sich dessen bewusst war, hat er in einem Brief an Bessel (März 1824) erwähnt. Bereits im November 1822 hatte er an Bessel aber geschrieben:

Abbildung 1: DR SoSt Turm vom Michel 1937

„… meinen trigonometrischen Messungen habe ich immer eine interessante Seite abgewinnen können … dass ich dieses Geschäft so liebgewann, dass das Bemerken, Ausmitteln und Berechnen eines Kirchturmes mir ebenso Vergnügen machte wie das Beobachten eines neuen Gestirns …“

Abbildung 2: Mehrfachfrankatur eines Eilbotenbriefes (Bund MiNr. 761)

Dass Gauß die beschwerlichen Tätigkeiten bei seinen „Expeditionen“ auf sich nahm, hatte sicher auch finanzielle Gründe (für Feldarbeiten erhielt er pro Tag fünf Taler und zum Abschluss der Gradmessung 1000 Taler).

Im Rahmen der Verknüpfung seiner Hannoverschen Dreiecksmessung mit Schumachers Dänischer Landestriangulation führte Gauß südlich von Hamburg Winkelmessungen durch.

Anfang Oktober 1818 zielte er von Lüneburg aus die Michaeliskirche in Hamburg an und hat dazu in einem Tagebuch Schumachers Sternwarte zu Altona neben den Messungsergebnissen vermerkt:

„…Hamburg schlecht zu sehen, das von der Sonne beleuchtete westliche Fenster genirte das Pointieren…“

(= das gespiegelte Sonnenlicht blendete und störte das Anzielen der Turmspitze).

Später hat er dazugesetzt / hinzugefügt / ergänzt:

„…N.B. Diese Erfahrung ist die erste Veranlassung zu der im Herbst gemachten Erfindung des Heliotrops …“

Abbildung 3: Zeichnung u. Beschreibung des Heliotrops

Die negative Erfahrung einer Blendung wandelte Gauß bald zu einer positiven, indem er über eine Vorrichtung grübelte, mit der Sonnenlicht zu weit entfernten Punkten gespiegelt werden konnte und somit eine ideale Markierung für den Zielpunkt bei einer Winkelmessung ergab.

In den „Göttingischen gelehrte Anzeigen“ vom 09. August 1821 wurde das Gerät zuerst beschrieben. Es bestand aus einem Spiegelsystem, das auf einem Sextanten montiert war. Gauß selbst hatte es ersonnen und zusammen mit seinem Mechanikermeister Rumpf konstruiert.

Abbildung 4: Zeichnung und Beschreibung des Heliotrops

Dieses erste Gauß´sche Heliotrop war auf dem letzten 10-DM-Schein (ab April 1991 bis 2002) vor der Einführung des Euro abgebildet; Gauß bezeichnete diesen umgebauten Sextanten später als „Viceheliotrop“.

Abbildung 5 – 10 DM-Schein
Abbildung 6 – Silber-Gedenkprägung

Die Situation der Erfindung im Angesicht der Michaeliskirche ist – mit künstlerischer Freiheit – auf einer Silber-Gedenkprägung der Münze Berlin aus dem Jahr 2015 dargestellt. Sie zeigt Gauss an einem späteren (!) Kreuzspiegel-Heliotrop als Vorsatz vor einem stabil stehenden Fernrohr (Nivellier) bei der Sicht zur Michaeliskirche. Derartige Heliotrope waren bei der Hannoverschen Landesaufnahme in drei oder vier Exemplaren ab 1822 ständig im Einsatz.

Sie standen auf den Zielpunkten, wobei das Fernrohr auf den Standpunkt des Theodoliten gerichtet war und ein vorgesetztes Spiegelsystem entsprechend des jeweiligen Sonnenstands so um zwei Achsen gedreht wurde, dass ein Teil des Sonnenlichts zentral in das Fernrohr fiel und der andere Teil dadurch exakt zu dem Beobachtungspunkt gelenkt wurde.

Abbildung 8: BRD 1955 – Mi.Nr. 204
Abbildung 7: DDR 1997 – Mi.Nr. 2215

Carl Friedrich Gauß errichtete 1824 – also vor 195 Jahren  – auf dem Litberg (65 m) einen hölzernen Vermessungsturm. So gelang es, die schwierigen Bedingungen des flachen Geländes auszugleichen. Er beobachtete bei der Landesvermessung (Gaußsche Landesaufnahme vom Königreich Hannover) von diesem Punkt bei Sauensiek Ziele in Hamburg, Altona, Hohenhorn, Elmenhorst und Zeven. Marken der Bundesrepublik 1955 MiNr. 204  bzw. der DDR 1977 MiNr. 2215 zeigen den berühmten Universalgelehrten.

Der Duden unterscheidet zwischen „Heliotrop“ (= Spiegelvorrichtung (in der Geodäsie)) und „Heliograph“ (= Signalgerät für Blinkzeichen mithilfe des Sonnenlichts).

Abbildung 9: Dahomey – Portomarke 1967, Mi.Nr. 28
Abbildung 10: Mali 1965 MiNr. 107

Auf Briefmarken sind Heliotrope (geodätische) hier nicht bekannt; Heliographe (als Vorrichtungen zu optischer Telegraphie) sind dagegen auf Ausgaben der afrikanischen Republiken Mali und Dahomey dargestellt.

Heliotrope dienten in der Geodäsie zum einen als optische Hilfsmittel zur Sichtbarmachung weit entfernter Zielpunkte (helle Lichtpunkte) und zum anderen aber auch zur Übermittlung von Signalen zwischen den Beobachtern an den weit entfernten Festpunkten (10-40 km, teilweise bis 70 km), hatten also auch eine telegraphische Funktion.

Abbildung 11: SoSt Sauensiek Gauss aus 2011

Heliotrope wurden später durch Signalscheinwerfer und Sprechfunkgeräte abgelöst.

Literatur

  • K-W. Heitsch in Mitteilungsblatt des Vermessungsamtes Hamburg, 1986
  • Abbildung zur Justierung des Heliotrops
  • C. F. Gauß in Astronomische Nachrichten – Band V, 1827

Zeichnung und Beschreibung (Titelblatt) des Kreuzspiegel-Heliotrops von 1835 sowie Prinzipskizze,
aus: Prof. L.von Mackensen „225 Jahre F.W.Breithaupt & Sohn“, 1987.


© mit freundlicher Genenehmigung Vorabveröffentlichung des Beitrages aus dem Rundschreiben Nr. 155 – 1-2019 vom 1. April 2019 der Thematischen Arbeitsgemeinschaft und Motivgruppe Landkarten-Vermessung-Entdeckungsgeschichte der Erde

Nähere Auskünfte erteilt der Vorsitzende Klaus-Günter Tiede, Josef-Wiefels-Str. 2, 59063 Hamm, eMail land.verm.entd(ät)gmx.de